Mein Leben mit MS: Teil 3 – Wie geht es mir jetzt?

Wenn mich jetzt jemand fragt, wie es mir geht, antworte ich meistens „Danke, gut!“ Und meine es auch so. Es hat allerdings gedauert, bis ich an den Punkt gekommen bin.

Objektiv betrachtet sind einige Einschränkungen bei mir durch den/die Schübe übrig geblieben:

  • schnelle Erschöpfung = Fatigue
  • verminderte Gehfähigkeit, ich kann so 2,5 km am Stück gehen
  • hohe Empfindsamkeit gegenüber Wärme = Uhthoff-Phänomen
  • Blasen- und Stuhlentleerungsstörungen und daraus resultierend eine Angststörung
  • verminderte Empfindung an den Beininnenseiten und Fußsohlen
  • Ringschmerzen am Rumpf, Beinen
  • Fehlfühligkeiten = manchmal hab ich das Gefühl als liegen feine Spinnenweben über meinem Gesicht, irgendwie störend
  • meine Muskeln verspannen/verkrampfen schneller
  • ich schlafe schlechter: weniger tief, unruhig

Am meisten stören mich drei Dinge. Zum einen die Fatigue, die mich nicht mehr Vollzeit arbeiten und somit mich unabhängig finanziell versorgen lässt, weil weniger Arbeitszeit = weniger Geld. Und in der freien Zeit mache ich nicht Party, sondern bin viel mit Erholen beschäftigt. Aber auch normaler Alltag oder Ausflüge sind anstrengender als im gesunden Zustand. Ein Arzt hat es mir so erklärt, dass mein Körper für den reibungslosen Ablauf der normalen Prozesse, die bei einem gesunden Menschen nicht ins Gewicht fallen, schon viel mehr Energie aufwenden muss und somit nicht mehr so viel übrig bleibt für anderes. Auch das Uhthoff-Phänomen tut sein übriges dazu und raubt mir noch mehr Energie, wenn es im Sommer draußen heiß ist oder ich mich Ausversehen zu warm angezogen habe. Denn dann verstärken sich die neurologischen Symptome noch *seufz* Als ehemalige Wald- und Wiesenbotanikerin stört es mich wirklich sehr, dass ich nicht mehr so weit und lange am Stück gehen kann (von Laufen reden wir gar nicht). Ab einem bestimmten Punkt kriege ich einfach nicht mehr die Beine hoch und muss mich definitiv hinsetzen. Aber nach einer Weile kann es auch weitergehen :-)

Was sich im Nachhinein am belastendsten heraus gestellt hat, war die Blasen- und Stuhlentleerungsstörung, durch die sich eine Angststörung entwickelte. Es ist eine sehr ungünstige Kombination aus körperlichen Problemen und eben der Angst meines Kopfes, die sich gegenseitig hochschaukeln. Es war sozial wirklich sehr einschränkend! Zu Anfang hab ich mir noch gesagt: „Na gut, gehst Du halt nicht raus!“ „Filme im Kino kannst Du auch später im TV gucken“ etc. Aber im Sommer 2014 war der Punkt erreicht, wo es mir reichte. Ich konnte nicht mehr! Ich wollte nicht mehr! Ich wollte mein altes Leben zurück, wollte wieder was erleben mit meiner Familie, meinen Freunden. Wollte neue Erinnerungen schaffen! Abenteuer erleben! Wollte wieder normal leben …
Und habe mich dann an die Psychosomatische Klinik hier in Göttingen gewendet, die mein Problem erkannten, mich ernst nahmen und nach einigen Gesprächen einen Platz in ihrer Tagesklinik anboten, den ich Anfang Januar 2015 annahm. In den sechs Wochen dort wurde mir sehr geholfen. Ich wurde körperlich nochmal durchgecheckt, ich hatte Therapie mit einer sehr guten Physiotherapeutin, die mir guten Input gab, die Kunsttherapie tat mir sehr gut und auch die Gespräche mit dem Psychologen waren sehr hilfreich bei der Akzeptanz meiner Krankheit. Seitdem verschließe ich mich nicht mehr vor Hilfsmitteln. In Bezug auf meine eingeschränkte Gehfähigkeit probierten wir z.B. bei einem langen Spaziergang aus, wie es für mich ist, wenn ich einen Rollstuhl mitnehme. Damit ich den Spaziergang auch mit allen anderen zusammen beenden kann und nicht alleine zwischendrin zurück gehen muss. Und ehrlich? Es ist okay für mich. Ich schob den Rollstuhl selbst, so lange es ging, aber als meine Beine nicht mehr wollten, wurde ich für 15 Minuten geschoben, bis sich die Beine erholt haben und ich den Rollstuhl dann zur Tagesklinik alleine zurück schob. So kann ich mir auch vorstellen, wenn z.B. ein längerer Ausflug geplant ist mit wenig Ausruhmöglichkeiten, dass ich mir eventuell einen Rollstuhl ausleihe. Wer will schon im Zoo mittags eine halbe Stunde Pause vor dem Gehege der schlafenden Eulen machen, nur weil die Beine streiken? Und auch für die anderen Probleme entwickelten wir Strategien, wie ich damit umgehen kann. Klar, die Angst ist nicht komplett weg. Und das körperliche Problem auch nicht. Es gibt bessere und schlechtere Tage, sowohl körperlich als auch psychisch, aber ich kann damit leben. Ich isoliere mich nicht mehr, ich stelle mich der Angst! Denn der Angst nachzugeben, bedeutet ihr Raum zu geben und dadurch wird sie immer größer.

Und wie hat mich diese Krankheit sonst verändert? Ich bin noch gelassener geworden. Ich habe echt aufgehört mich mit anderen zu vergleichen. Ich bin ich und lebe mein Leben. Jeder Mensch ist anders, jeder Mensch hat seine eigene Geschichte. Und trägt sein eigenes Päckchen. Ich bin sehr organisiert geworden, denn wenn man nie genau weiß, wie lange die eigene Kraft reicht, dann nutzt man die guten Zeiten. Und gehe ziemlich offen mit meiner Multiplen Sklerose um, denn wenn die anderen nicht wissen, was mit mir ist, können sie bestimmtes Verhalten von mir nicht verstehen.

Aber ja, wenn jemand nach meinem Befinden fragt, sage ich trotzdem „Danke, mir geht’s gut!“ und meine es auch so :-)

Was mache ich gegen die Multiple Sklerose?

Ich verschließe mich nicht gegen die medikamentöse Therapie und spritze mich brav montags, mittwochs und freitags. Auch habe ich eine gute physiotherapeutische Praxis gefunden, deren Therapeuten ich vertraue und mit denen ich einen guten Plan ausgearbeitet habe. Insgesamt habe ich drei Termine in der Woche: 30 Minuten KG-ZNS (Krankengymnastik für das Zentrale Nervensystem), 45 Minuten Ergotherapie und 1 Stunde Krankengymnastik am Gerät (KGG). Bei der KG-ZNS gehen wir auf akute Probleme ein, mal dehnen wir mich durch, um Verspannungen in den Griff zu kriegen, mal machen wir was für die Koordination oder die Stabilisierung meiner Rumpfmuskulatur. Bei den meisten Terminen mache ich dabei schon aktiv was und werde nicht nur massiert ;-) Bei der Ergotherapie wird meine Sensibilität an den Beinen und Füßen geschult und die Füße/Beine und Hände/Arme mobilisiert. Danach fühle ich mich immer als würde ich über Wolken laufen. In der einstündigen KGG habe ich ein mehr oder minder festes Trainingsprogramm, um auch meine Muskeln zu trainieren und wieder ein bisschen mehr Kraft zu bekommen. Dabei ist es wichtig im unterschwelligen Kraft-Ausdauerbereich zu trainieren, damit die Muskeln und Nerven nicht überanstrengt werden, das Gehirn aber mit ausreichend Sauerstoff versorgt wird. Bewegung ist überhaupt wichtig und tut eigentlich (fast) jedem MS-Patienten gut. So kann man gegen die Fatigue, also diese seltsame, matschigmachende Erschöpfung gut mit Ausdauertraining angehen. Wenn ich k.o. bin von der Arbeit, hilft es entweder ein Nickerchen zu machen oder ein etwa 30 minütiger Spaziergang. Das ist wirklich faszinierend!

Und ich versuche mich meiner Angst zu stellen! Ich will neue Erlebnisse und Erinnerungen aufbauen, mich nicht von der Krankheit abhalten lassen mein Leben zu leben.

Und das solltet ihr, die ihr da draußen seid und auch von der Krankheit betroffen seit, auch nicht tun! Gebt der Multiplen Sklerose nicht allzu viel Raum, Euer Leben zu beherrschen. Nehmt alle Möglichkeiten, die Euch die Medizin anbietet, an und lasst Euch helfen. Medikamente, Hilfsmittel und auch Therapeuten (seien es jetzt Physios, Ergos oder Psychotherapeuten) können Euch zu einem besseren, einfacheren Leben trotz fehlprogrammiertem Immunsystem verhelfen.

Was können Familie, Freunde, Kollegen, Bekannte tun? Zumindest ich will kein Mitleid, aber Verständnis tut gut. Wenn ich sage, dass ich nicht mehr kann, dann meine ich das auch so und sage es nicht, weil ich keine Lust mehr habe. Aber gleichzeitig tut es mir auch gut, wenn mich Freunde/Familie von Zeit zu Zeit herausfordern und mich nicht wie ein rohes Ei behandeln. Und fragt denjenigen, den ihr mit MS kennt, wie es ihm geht, denn:

Nur Wissen schafft Verständnis.


Morgen möchte ich Euch dann erzählen, wie es hier auf dem Blog und mit dem Thema weiter geht. Ich habe mir ein paar Bereiche und Challenges an mich überlegt, die interessant sein könnten. Und bin gespannt, was Ihr dazu sagt. Aber wie gesagt, morgen dann mehr :-)

10 Kommentare zu “Mein Leben mit MS: Teil 3 – Wie geht es mir jetzt?

  1. brittak65 11. Januar 2018 um 10:05 Reply

    Liebe Anikó,

    danke für diesen Bericht! Du bist meine Heldin!
    Wie Du ja schon mitbekommen hast, habe ich teilweise ganz ähnliche Symptome, wenn auch aus einem anderen Grund.

    Gerade diese Erschöpfung kenne ich zu gut und durch Dich versuche ich, meine Kräfte gezielt einzusetzen, auch wenn es mich oft extrem nervt, manchmal nicht mal so Kleinigkeiten wie Spülmaschine umräumen zu schaffen.

    Du bist eine starke Frau und ein Vorbild! 😘

    Liebe Grüße
    Britta

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    • Anikó 11. Januar 2018 um 16:27 Reply

      Was passiert denn schon, wenn Du den Geschirspüler nicht gleich aus- und einräumst? Das dreckige Geschirr wird ja wohl nicht weglaufen ;-) Aber ja, das zu akzeptieren benötigt einen längeren Lernprozess *seufz*
      Und danke für Deine lieben Worte! :-*

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      • brittak65 11. Januar 2018 um 18:49

        Na, irgendwann habe ich weder Geschirr noch Tassen oder Pötte. Und der Stapel und das Küchenchaos wird durch Nixtun und Zuschauen auch nicht kleiner. 😂

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  2. Susanne 11. Januar 2018 um 11:11 Reply

    Hut ab! Ich habe diese Probleme nicht, schließe mich aber Britta an, du bist ein tolles Vorbild, für alles Mögliche…:-).
    Was ist habe, ist eine Frau im näheren Bekanntenkreis mit MS, die von der Schulmedizin nichts wissen möchte. Das ist gar nicht mal so gut….

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    • Anikó 11. Januar 2018 um 16:33 Reply

      Ja, die Leute, die sich Hilfe wissentlich verschließen kenn ich auch. Klar, die Medikamente sind nicht ohne, aber wenn sie mir einem länger sorgenfreieren Leben verhelfen, immer her damit!
      Und danke für Deine lieben Worte, Susanne :-*

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  3. Nessy 11. Januar 2018 um 13:36 Reply

    Danke für den Beitrag. Gut zu lesen, wie sich eine MS darstellt. Das ist so eine Krankheit, von der man den Namen kennt, aber nicht weiß, was sie eigentlich für diejenigen bedeutet, die sie haben.

    Ich kann natürlich nur aus Sicht einer Außenstehenden sprechen: Ich finde es hilfreich, wenn Kranke sich transparent machen. Nur so weiß ich ja, was los ist, kann Rücksicht nehmen und Dinge einordnen, zum Beispiel Müdigkeit, Terminabsagen oder anderes.

    Vom Zeitaufaufwand her scheint die MS ein zweiter Job zu sein …

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    • Anikó 11. Januar 2018 um 16:35 Reply

      Aber nur weil es bei mir so ist, kann es bei jemand anderem komplett anders sein. Blöde Krankheit …
      Und ja, die Therapiezeiten zähle ich für mich intern rigoros zu meiner Arbeitszeit. Ich mach die Besuche bei der Physiotherapie ja nicht als Hobby (wäre ein teures Hobby auf Dauer) ;-) Aber Teufel, es hilft *seufz*

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    • hafensonne 11. Januar 2018 um 19:00 Reply

      Es gibt tasächlich beinahe alles: Berentete 25jährige, weil sie sich keine 10 min. mehr konzentrieren können und keine 3 Stunden am Tag arbeiten können aufgrund der Müdigkeit. Ein Vollzeit arbeitender Geschäftsführer mit vollständiger Rollstuhlpflichtigkeit. Einer, der mit 45 Jahren tatsächlich an der Krankheit gestorben ist (ist keinesfalls die Regel, die Lebenserwartung ist eigentlich nicht wesentlich verkürzt). Frauen, die seit 40 Jahren erkrankt sind (also über mindestens die Hälfte der Zeit kaum bis gar nicht behandelt werden konnten), und laufen wie eine junge Göttin. Ein Justizvollzugsbeamter im Drei-Schicht-System. Wirklich alles. Und das Beklagen über die Krankheit (ein signifikanter Anteil dieser Patienten ist echt anstrengend – Anwesende ausdrücklich ausgenommen!) hängt nur minimal mit der objektiven Behinderung zusammen.

      Eben die Krankheit mit den 1000 Gesichtern – auch wenn ich diesen Satz langsam nicht mehr hören kann *eyesroll*

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  4. Küchenlatein 11. Januar 2018 um 19:23 Reply

    Allein Fatigue ist schon ein Ar…

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  5. theduckling 17. Januar 2018 um 11:57 Reply

    Liebe Anikó,

    danke für deine Blogeinträge zu diesem Thema. Ich habe sie erst heute gesehen und sie daher am Stück gelesen. Jetzt sitze ich heulend vorm PC. Zum Einen, weil ich es so großartig finde, dass die Möglichkeiten vielfältiger geworden sind und – wie du ja schon sagtest – man nicht wie vor 30 Jahren dem Ganzen völlig ausgeliefert ist. Aber vor allem weil in deinem Text so viel Stärke, so viel Hoffnung, so viel Energie steckt. Ich finde das unbeschreiblich bewundernswert.

    Meine Mutter bekam die Diagnose mit 24, Mitte der 1970er Jahre. Gleich zu Beginn kam ein Schub nach dem nächsten und sie landete bereits nach kurzer Zeit im Rollstuhl. Ich habe sie nie laufen sehen. Sie wurde mit Medikamenten vollgepumpt, aber mit anderen Therapieformen und Möglichkeiten war es Essig. Der Verlauf bei ihr war heftig und gnadenlos. Doch wir haben alles mit ihr gemacht, was ging. Mein Vater trug sie in Fahrgeschäfte in Freizeitparks, wir sind mit ihr bei Stadtbesichtigungen (sie liebte historische Stadtkerne) über Kopfsteinpflaster gefahren und ich habe alle 5 Minuten ihre Spastiken in den Beinen beruhigt, die durch das Geholper ausgelöst wurden. Wir sind mit ihr über Alpenpässe gefahren und an Küsten entlang. Als sie das Bett kaum noch verlassen konnte und Urlaube unmöglich waren, lasen wir ihr vor und suchten jede Woche raus, welche Sendungen (vor allem Dokumentationen) für sie interessant waren. Doch sie verschwand immer mehr. Von dieser intelligenten, starken, kreativen, liebenswerten und neugierigen Frau drang irgendwann nichts mehr aus ihrem Körper nach außen, obwohl alles noch da war (ihre Einschränkungen waren rein körperlich). Sie war so ein großartiger Mensch. Ich habe andere Verläufe der Krankheit gesehen, parallel zu meiner Mutter. Menschen, die sehr alt wurden und vergleichsweise wenig Einschränkungen hatten, trotz der mangelhaften medizinischen Betreuung damals. Was ist dann erst heute alles möglich?

    Ich habe gezögert, dass hier zu schreiben. Ich will keine Angst verbreiten. Es passiert aus einem Bedürfnis heraus, das ich schwer aufhalten kann. Aber ihr Schicksal hat nichts mit deinem zu tun. Es ist eine andere Zeit und du bist ein anderer Mensch, was bei dieser Krankheit die Karten völlig neu mischt.

    Ich wünsche dir alles nur erdenkliche Glück für dein weiteres Leben. Ich wünsche dir ein langes Leben voller neuer Eindrücke und Abenteuer. Ich wünsche dir gerade an schlechteren Tagen einen unerschöpflichen Vorrat an Stärke und Willenskraft, um dein Leben zu lieben.

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